Malerei, Fotografie, Objekte, Textarbeiten…
09. September – 22. Oktober 2023
(verlängert bis 13. Januar 2024)
Opening: Freitag, den 08.09., 19:00 – 22:00 Uhr
Finissage: Samstag, 21. Oktober 2023, 19 Uhr
Öffnungszeiten:
Freitag: 17 – 19 Uhr / 5 – 7 pm
Samstag: 13 – 17 Uhr / 1 – 5 pm
Verena Landau: Stromboli 01, 2019, Öl auf Leinwand, 20x30cm
Ute Z. Würfel: »Traum« aus der Serie »Von Tag zu Tag« Selbstportrait vom 24. März 2013, Fotomontage, 594 mm x 841 mm
Die beiden Künstlerinnen Verena Landau und Ute Z. Würfel verbindet eine langjährige Freundschaft mit einem intensiven künstlerischen Austausch. Wenn auch das Schaffen beider Künstlerinnen zunächst recht unterschiedlich anmutet, so lassen sich doch Schnittmengen finden. Der Ausstellungstitel »Flugismen« ist charakteristisch für solche verbindenden Momente.
Ute Z. Würfel verfasst sogenannte »Fliegergedichte«, die sie ausdruckt, um daraus flugtaugliche Papierflieger zu basteln, die sie als Aphorismen, Sentenzen oder Xenien auf Flugreisen schickt. Jene ‚Geflügelten Worte‘ wirft sie im Rahmen verschiedenster Performances nach dem Lesen in den Raum oder in eine Landschaft. Ihre »Fliegergedichte« (2016/2020) sind eine Vorarbeit zum Roman »Genug geliebt«. Beide Werke thematisieren die Kreuzberger Bolzplätze in Berlin als GENIUS LOCI einer Fußballerin, der jene Orte nicht nur als Quelle der Inspiration, sondern auch als Atelier im öffentlichen Raum dienen. Der Bolzplatz als Arbeitsplatz einer selbsternannten Streetworkerin. Die Prämisse – Fußball sei Kunst – vorausgesetzt, streift die Protagonistin des Romans von einem Spiel zum nächsten. Ihre Gefährten sind Menschen aus verschiedensten Ländern und Kulturkreisen der Welt. Beim Spiel mit dem Ball, ist wieder und wieder das Fliegen Tenor aller Übungen. Im Team Seite an Seite stehen, in den Himmel schießen, Wolken hinabstürzen sehen, wie ein Pfeil die Schwerkraft für einen winzigen Augenblick Ikarus gleich überwinden, in letzter Not das Eckige vor dem Runden bewahren. Während der Roman von den Begegnungen der Frau, die mit den Männern Fußball spielt, ihrer Position als Torwart, dem sie angreifenden Sturm und ihrer Verteidigung erzählt, spannen die Fliegergedichte den Bogen zur Poesie, die dem Geist der Straßen und Plätze einer Großstadt innewohnt.
Verena Landau: Versprechen der Kindheit 01, 2017, Öl auf Leinwand, 30×40cm
Sprache hat auch eine Bedeutung für die Malerei von Verena Landau. Ihre Malerei agiert titelbezogen, bspw. ihre 20-teilige Serie »Versprechen und Vergessen der Kindheit«. Begriffe, die jeweils mit der Silbe ›Ver-‹ beginnen, stehen für eine verheißungsvolle Stimmung einer kindlichen Verklärung oder Verzauberung. Zu den »Versprechen« wählte sie Orte aus, die immer aus achteckigen, sechseckigen oder runden Architekturen bestehen: Pavillons, Burgen, Zelte, Karussells. Damit paart sie äquivalente Szenerien, in denen das »Versprechen« jedoch zerstört wurde. Es handelt sich um verstörte, verlassene und vergessene Orte. Die kindliche Sehnsucht nach dem Traum vom Fliegen von Würfel und Landaus Sehnsuchtsorten haben etwas gemeinsam: Das Aufspüren von utopischen Potentialen im ganz Alltäglichen.
Das Selbstportrait im Kontext ist ebenfalls ein verbindendes Element der Ausstellung »Flugismen«. Während Landau als Rückenfigur ihre Rheinlandschaften durchkreuzt und die Rezipierenden ihrer Bilder auf das verwiesen werden, was auch die gemalte Rückenfigur zu sehen scheint, fixiert Würfels Blick die Betrachtenden frontal.
Ute Z. Würfel »6 Photomatonarbeiten von 2 x [365 ± 1] Fotografien« aus der Serie »De jour en jour – Von Tag zu Tag« Paris 2001/2002, Lamda-Prints auf Aludibond (Diasec®-Licence), à 112 cm x 72 cm
Würfel subsumiert unter dem Titel »Von Tag zu Tag« serielle Werke tagebuchähnlichen Charakters, wie bspw. das kartografische Drehbuch »De jour en jour – Claude Panama et la grande bouffe d’escargot« (2001/2002) das aus insgesamt 2 x 366 Fotografien besteht, die im Verlauf eines Jahres (365 Tage ± 1 d) täglich auf den Pfaden psychogeografischer Umgebungskonstruktionen durch den Untergrund (base) und den Überbau (superstructure) der Stadt Paris streifend, in verschiedensten Photomatons (Foto-Fix-Automaten) mit unterschiedlichsten Passanten aufgenommen wurden. Gesichter der Großstadt. Auf jenen Photomaton-Bildern befindet sie sich stets an der selben Stelle hinter den Abgelichteten, die sie in verschiedensten Pass-Bild-Automaten fotografierte. Wie ein Chamäleon scheint sie den Portraitierten auf einfühlsame Art nahe zu sein und ihnen bisweilen sogar vom Ausdruck her ähnlich zu werden.
Bereits für die zweiteilige Videoinstallation »Wie die Zeit vergeht« und »Im Fluge« (Uraufführung am 07.12.2000) ging Würfel auf dem Fluggelände Hahnweide Kirchheim Teck als Kopilotin in einem Segelflugzeug an den Start. Für jene Videoinstallation erhielt sie das Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg an die Cie Internationale des Arts Paris. Es ermöglichte ihr die einjährige Arbeit an o. g. Photomaton-Serie.
Ein drittes verbindendes Element ist das Projekt ’systemfehler_neustart‘ [s_n] gleichnamiger Künstlerinitiative, das für den öffentlichen Raum rund ums Brandenburger Tor und den Bundestag konzipiert wurde. Das Konzeptbuch wurde von Verena Landau und Ute Z. Würfel redaktionell betreut und von Würfel grafisch gestaltet (vgl. http://www.froehlicher- untergrund.de). Das Manuskript war erstmals 2010 in der Ausstellung »Macht zeigen: Kunst als Herrschaftsstrategie« im Deutschen Historischen Museum Berlin zu sehen. 2012 wurde der Prototyp des Konzeptbuches mit dem Katalog »Zerreissproben« zur gleichnamigen Ausstellung – an der beide Künstlerinnen beteiligt waren (Meine Verlag, 2010) – ins Archiv der documenta Kassel aufgenommen.
Würfel’s künstlerischer Beitrag zu ’s_n‘ – das »Büro für systemimmanente Fragestellungen: Weg der Rohrpost in den Plenarsaal des Deutschen Bundestages« (Zwei technische Zeichnungen, 2007/2010) und »Robinante« (Digitale Fotomontage, 2010) – wurde u. a. im Tapetenwerk Leipzig (2012), zur »7. Berlin-Biennale« in den KunstWerken und zur Retrospektive 2016 im Kreuzberg Pavillon Berlin präsentiert. Das von Würfel in den Jahren 2005 bis 2010 entwickelte Konzept, aus einem gläsernen Kubus vis-à-vis des Deutschen Bundestages heraus eine transparente Rohrpost über die Außenfassade des Bundestagsgebäudes in die Tag und Nacht geöffnete Kuppelspitze, von dort unterhalb einer Rampe durch das Innere der Kuppel zu leiten, um im Plenarsaal in der Nähe des Wehrbeauftragten ihr Ziel zu erreichen, entspringt ebenfalls dem Traum vom Fliegen. Durch jenes ausgeklügelte Rohrpostsystem durchsichtige Kapseln mit Anträgen aus der Bevölkerung zu entsenden, die systemimmanente Fragestellungen enthalten, kommt dem Wurf eines Papierfliegers gleich, der Utopien verkündend seine Kreise durch die Lüfte zieht.
Das gigantische Projekt wartet bis heute auf eine angemessene Umsetzung. …
Verena Landau (*1965 in Düsseldorf) lebt und arbeitet in Leipzig.
1990-1993 Ausbildung und Lehrtätigkeit in historischen Maltechniken im Atelier »Charles Cecil Studios«, Florenz, Italien
Von 1994 bis 1999 studierte sie Malerei und Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Arno Rink, Neo Rauch und Wolfram Ebersbach.
Im Jahr 2003 erhielt sie ein Stipendium der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen. Seit 2008 ist sie künstlerische Mitarbeiterin am Institut für Kunstpädagogik der Universität Leipzig.
Seit 2017 leitet sie Kurse an der Kunstakademie Bad Reichenhall. 2017 war sie Dozentin der internationalen Kunst-Meisterklassen, Beijing Universal Music & Culture Development Co. Ltd., China. Ihre Arbeiten waren u. a. im Museum der bildenden Künste Leipzig, in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, im Deutschen Historischen Museum Berlin, im Museum Królikarnia-Palais Warschau, im Muzeul de Artà Timisoara, Rumänien, im Visual Arts Museum, New York und im Goethe Institut Hongkong zu sehen.
Ute Z. Würfel, 1966 in Berlin geboren,
studierte Freie Kunst, war vier Jahre ehrenamtlich als Kuratorin der »Schauwand – Die Galerie im ProVisorium Nürtingen« tätig, gründete 1998 das Mobile Büro der Schönen Künste und 1999 den literarischen Salon Marie Sophie Le Cornichon. Seither arbeitet sie freischaffend als Künstlerin und Publizistin, hatte verschiedene Lehraufträge inne und zahlreiche Präsentationen im In- und Ausland (http://www.fiftyfifty-galerie.de). 2001/2002 wurde sie als Bildende Künstlerin mit dem Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg für einen Aufenthalt an der Cité Internationale des Arts Paris ausgezeichnet. Nach Jahren der Wanderschaft ließ sie sich 2006 in ihrer Heimatstadt Berlin nieder. Als Autorin, Fotografin, Redakteurin, Lektorin und / oder Designerin arbeitete sie u. a. an den Zeitschriften »Schoenbildschauer«, »Nürtinger Hefte zur Kunst«, »Skizzen 8 – 15«, »Kunst & Kultur« und am Katalog »Olaf Rauh« mit sowie an den Büchern »Vertragswerk Bildende Kunst« (ISBN 3 – 93 23 49 – 11 – 3) und »systemfehler_neustart« [s_n] (http://www.froehlicher-untergrund.de). Das Manuskript zu »s_n« wurde 2010 in der Ausstellung »Macht zeigen: Kunst als Herrschaftsstrategie« im Deutschen Historischen Museum Berlin präsentiert. 2012 wurde der Prototyp des Konzeptbuches »systemfehler_neustart« sowie der Katalog »Zerreissproben« (Meine Verlag Magdeburg, ISBN 9 78 – 3 – 94 13 05 – 20 – 5) ins Archiv der documenta Kassel aufgenommen.